Die Katze und der General by Nino Haratischwili

Die Katze und der General by Nino Haratischwili

Autor:Nino Haratischwili [Nino Haratischwili]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Frankfurter Verlagsanstalt
veröffentlicht: 2018-08-30T22:00:00+00:00


Juritsch/Zaika

Iwan Juritsch, von allen auf zweifach demütigende Weise »Zaika« genannt – zum einen wegen seines Stotterns und zum anderen in Anspielung auf seine Feigheit –, indem man ihn mit einem sajez, einem Hasen, verglich, kam aus einem kleinen Dorf am Rande von Moskau, aus sehr armen Verhältnissen. Sein Vater hatte die Familie im Stich gelassen, als er noch nicht ganz drei war, und seine Mutter hatte recht bald einen anderen Mann geheiratet, mit dem sie nach Jekaterinburg zog, um später in die USA auszuwandern.

Zaika wuchs bei seinen Großeltern auf, ehrliche und liebevolle Bauern, die sich weder für die große Welt, noch für die große Politik interessierten, die still der Landarbeit nachgingen und sich über nichts in der Welt so freuten wie über Heimatfilme im Fernsehen, das Gerät hatten sie sich mit mühsamer Arbeit über Jahre hinweg zusammengespart. Sie liebten ihren Wanja und gaben ihm alles, was er ihres Erachtens am meisten benötigte: warme Mahlzeiten, jeden Morgen frische Milch, ein sauberes Bett und ein paar schöne Galoschen. Zaika, der sehr an seinen Großeltern hing, hasste aber das Land, hasste den Matsch und den Frost, wenn er jeden Morgen zu Fuß zur einzigen Ortsschule marschierte, er hasste die Tristesse des Dorfes, das Holzhaus, das sie bewohnten, hasste die Kartoffeln auf dem Feld und die Eier im Stall, hasste den bösen Kettenhund, der ihn dauernd anbellte und der nur auf seinen Großvater hörte. Er hasste die blöden Filme, über die seine Großeltern lachten, und er hasste den Dämmerzustand, in dem die ganze Ortschaft ab Oktober versank und der bis April des kommenden Jahres anhielt und in dem das einzige Vergnügen, das Baden im naheliegenden See und der Malzbiertank am Steg, nicht mehr infrage kamen.

Er hasste die Nachbarsjungen, die ihn auslachten, weil er stotterte, und hasste die Mädchen, die durch ihn hindurchsahen, als wäre er Luft. Er wusste nicht, wohin mit sich, wusste nicht, zu wem er gehörte, kannte nichts von der Welt und verfluchte abwechselnd den Vater und die Mutter, die ihn in diesen perspektivlosen Ausschnitt der Welt hineingeworfen hatten.

Das Bedrückende war, dass ihm auch das Lernen nicht sonderlich leichtfiel. Er hätte etwas vollkommen anderes gebraucht als das sowjetische Schulsystem, um die grausame Kette aus Schule–Angst–Scham–Ausgelachtwerden zu durchtrennen, aber von alternativen Lernmethoden ahnte er nicht einmal etwas. Für ihn existierte nur diese eine Realität und die einzige Erkenntnis, die er über die Jahre gewann, lautete, dass er in dieser Realität nichts verloren hatte.

Als Jugendlicher fing er an, merkwürdige Fantasien zu entwickeln. Er, der keiner Fliege etwas zuleide tun und über den Tod einer Taube, die er im Hof gefunden hatte, in Trauer verfallen konnte, träumte davon, all seinen Widersachern und Peinigern die Köpfe einzuschlagen, die Eingeweide rauszureißen und die Fingernägel zu ziehen. Auch schrieb er seiner Mutter Briefe (die er zum Glück nie abschickte, da seine Großeltern und er nach dem Fall des großen Imperiums auf sie und ihre Geldsendungen mehr als angewiesen waren), in denen er sie als »billige Nutte« und »Sau« beschimpfte, die wegen eines »Schwanzes« ihr einziges Kind alleine gelassen habe.



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